Damals war SUMIDA Toshinobu 5 Jahre alt. Er überlebte die Atombombe zuhause in Midori-machi, 2.5 km vom Explosionsort entfernt. Als er ein strahlendes Blitzlicht sah und zum Fenster rannte, hörte er ein unglaublich lautes Geräusch und wurde von der Druckwelle der Explosion weggeschleudert. Opfer plagte der Durst und es stank nach verbrannten Leichen, deren Identität unbekannt blieb ー Tiefe Trauer prägte sich durch die Atombombe ins Herz des damals noch jungen Herrn Sumida.
【Vor dem Atombombenabwurf】
Mein Vater war Kapitän bei einer großen Schifffahrtsgesellschaft. Er lebte in einem Jahr ein halbes auf dem Schiff und das andere halbe Jahr zuhause. Um ein wenig Geld dazuzuverdienen, betrieb er damals auch ein öffentliches Badehaus in Senda-machi, gegenüber der heutigen Garage der Hiroshima Bus und Bahn AG. Er erhielt dann einen Einberufungsbrief vom Militär. Alle Mitarbeiter der Schifffahrtsgesellschaft wurden zum Kriegsdienst beordert, um Soldaten und Güter in südostasiatische Länder zu befördern. Damals kaufte mein Vater ein Haus im jetzigen Minami-machi, welches später von der Atombombe betroffen war. Er schloss das Badehaus und wir zogen ins Haus in Minami-machi um.
Mein ältester Bruder war damals bereits etwa 16 Jahre alt. In Tsutsumigaura hinter Miyajima, wo es heute noch ein Strandbad gibt, gab es eine Munitionskammer des Militärs. Mein Bruder wurde als Schüler zur Arbeit ebendort verpflichtet. Meine Schwester war damals etwa in der 6. Stufe der Volksschule. Alle Schüler wurden an einen Ort am Land, dessen Namen ich aber bereits vergessen habe, evakuiert. Mein zweitältester Bruder war in der 2. Stufe der Volksschule. Meine jüngere Schwester war damals 3.
【Am Tag des Atombombenabwurfs】
Auch am Morgen dieses Tages wurden wir nach dem Fliegeralarm in einen Luftschutzbunker evakuiert. Da der Alarm gegen 8 Uhr aufgehoben wurde, ging mein Bruder mit seinen Freunden, die ihn abholten, in die Schule. Ich war zuhause mit meiner jüngeren Schwester, Mutter und Großmutter, und spielte auf der Terrasse.Damals war meine Großmutter in den 60ern, meine Mutter in den 30ern. Meine Mutter verletzte sich am Vortag bei der Zivilschutzarbeit am Fuß, daher blieb sie an diesem Tag von der Arbeit zuhause. Dies entschied über ihr Leben. Alle vom Frauenverein, die an diesem Tag arbeiteten, sollen gestorben sein. Nach dem Krieg erzählte mir meine Mutter oft, dass keine von ihnen am Leben blieb.
Ich spielte auf der Terrasse, ging aber kurz hinein, wahrscheinlich um Spielzeug oder so zu holen. Dann blitzte es auf. Ich wollte wissen, was los war, und rannte zum Fenster.Ich hörte laute Geräusche und wurde von einer starken Druckwelle weggeschleudert. Was danach passiert ist, habe ich nicht mehr mitbekommen. Wegen meiner Schreie hat man mich gerettet. Außer dem Holz-Skelett wurde unser ganzes Haus mitsamt der Decke und den Wänden zerstört. Auch das Stiegenhaus wurde zerstört.
Meine Großmutter fragte sich, ob etwas in der Küche explodierte und was für eine Explosion es überhaupt hätte sein können, denn weder Vor- noch Fliegeralarm heulten. Sie erzählte mir später oft, dass sie sich nicht mehr erinnern konnte, wie sie vom 1. Stock heruntergekommen war. Als sie herunterkam, konnte sie mich nicht finden. Sie hörte mich aber schreien und vermutete, dass ich da darunter lag. Sie bat Soldaten des jetzigen Präfekturkrankenhauses (ehem. Militärkrankenhaus) um Hilfe und diese schleppten mich hinaus. Ich habe auch jetzt noch Narben davon. Sehen Sie, hier an der Schläfe ist eine große Narbe. Und dann habe ich noch große Narben am Bauch und hier am Arm. Hier steckte ein Holzsplitter der Papierschiebetür.
Da ich blutüberströmt war, zogen die Soldaten zunächst einen Holzsplitter aus meiner Schläfe und stillten das Blut. Da ich irgendwo noch blutete, zogen sie mir die Kleidung aus, und da bemerkten sie, dass ein weiterer Splitter im Arm steckte. Man zog mir auch dieses Stück heraus und stillte das Blut mit einem Verband. Die Blutung stoppte trotzdem nicht, daher untersuchten sie den ganzen Körper und sahen, dass auch im Bauch ein Holzsplitter steckte. In drei Stellen soll ein Holzstück gesteckt sein. Das erzählte mir meine Mutter später oft. Ein Militärarzt, der bei der Rettungsaktion mitwirkte, soll gesagt haben, dass ich keine Chance hätte zu überleben. In diesem Zustand entkam ich irgendwie trotzdem knapp dem Tod.
Zum Glück wohnten bei uns zwei Militärärzte als Untermieter. Das Haus war nämlich recht groß. Auch das war ein Glück. Wir waren sehr froh, dass diese Ärzte herbeigeeilt waren, um nach uns zu sehen. Sie machten sich Sorgen um uns, weil sie wussten, wie schlimm die Lage war. Sie waren nämlich schon lange wie ein Teil unserer Familie. Sie holten sogar weitere Soldaten. Es war auch ein Glück, dass sich kein Feuer bis zu uns ausbreitete.
Denn das Areal der damaligen Monopolverwaltung nördlich von uns und die Umgebung der Miyuki-Brücke brannten vollkommen ab. Nur knapp entging auch die Hiroshima Gaswerk AG in Minami-machi dem Feuer. Bis dorthin hat sich das Feuer nicht ausgebreitet. Hätte sich das Feuer jedoch noch 500 m weiter ausgebreitet, wäre auch Midori-machi abgebrannt. Um so etwas zu verhindern, wurden Brandschneisen bei Zivilschutzarbeiten errichtet. Durch einen Befehl des Militärs musste jedes Stadtviertel Arbeiter, egal ob Mann oder Frau, schicken und fast alle Bewohner verließen ihr Viertel. Ich möchte auch jetzt noch betonen, dass ein Großteil der verstorbenen Bevölkerung in Hiroshima jene Bürger waren, die aufgrund des Befehls zu Zivilschutzarbeiten ihr Viertel verließen.
【Die Erfahrung des ältesten Bruders mit der Atombombenkatastrophe】
Mein ältester Bruder hörte in Tsutsumigaura den Knall und sah das Blitzlicht und den Atompilz. Er erfuhr, dass eine zerstörerische neue Bombe abgeworfen wurde und ganz Hiroshima abgebrannt ist. Besorgt um die Familie wollte er heimkehren, aber keine Fähre verließ den Hafen. Mit allen Kräften schwamm er durch die See, auf der heute Fähren fahren. Er erreichte den Miyajima-Bahnhof und ging so schnell wie er konnte die Miyajima-Linie entlang. Das war am 7. August. Verrußte Menschen und Tiere lagen am Boden, sie waren nicht mehr auseinander zu halten. Es war so, als würden alle wegschmelzen, kein Einziger blieb unversehrt. Ohne auf die Leichen zu treten, wäre es unmöglich gewesen, in die Stadt zu gelangen.
Und weil viele Brücken zusammenbrachen, musste er einen Umweg nehmen und war so gezwungen, den Fluss schwimmend zu überqueren. Darin trieben aber so viele Leichen, dass es rückblickend fast unmöglich für ihn war, den Fluss zu überqueren. Deshalb schob er die Leichen beiseite, als er durch den Fluss schwamm. Er musste dann weiter auf Leichen treten und kam endlich heim. Als er über die Miyuki-Brücke ging, konnte er zwar kaum Tote sehen, aber Scharen von Opfern, die weder Schatten noch Form hatten, gingen in Richtung Präfekturspital und des Roten Kreuz Krankenhauses.
Die Erfahrung des zweitältesten Bruders mit der Atombombenkatastrophe Mein Bruder war gerade mit 5 Freunden auf dem Weg zur Schule, auf der Miyuki-Brücke. Nur für einen Moment fragte er sich, was denn der gleißenden Blitz sei, den Rest weiß er nicht mehr. Als er zu sich kam und aufstand, sah er, dass er von der Mitte bis zum Ende zur Brücke geschleudert worden war. Er wusste nicht, wie schwer er verletzt war, suchte aber trotzdem nach seinen 5 Freunden. Er konnte keinen Einzigen finden. Man weiß nicht, ob sie in den Fluss gestürzt oder weggeschmolzen sind. Später erzählte er mir, er könne sich daran erinnern, dass er damals die Straßenbahnen in Flammen stehen sahen. Er wunderte sich, warum es am Morgen so stockfinster war, und bewegte sich eine Zeit lang nicht.
Als plötzlich alles wieder hell war, erlangte er die Orientierung wieder und rannte dann schleunigst nach Hause. Meine Mutter und Großmutter erzählten mir später, dass ihn keiner erkannt hatte, als er nach Hause kam. Seine Haut schälte sich ab. Er selbst wusste aber nicht, wie schlimm er aussah. Ohne sich seiner Verletzungen bewusst zu sein, rannte er einfach nur schnell nach Hause. Als ich ihn später fragte, ob es denn damals nicht weh getan habe, sagte er, dass er sich an keinen Schmerz erinnern könne.
Als er also zuhause war, fragten ihn meine Mutter und Großmutter wieder und wieder, ob er wirklich mein Bruder war. Schließlich konnten sie ihn erkennen und ließen ihn ins Haus hinein. Dank jenen Militärärzten konnte er sofort behandelt werden. Im Endeffekt entkam er knapp dem Tod. Ihm wurde die Kopfhaut samt Haaren abgerissen. Da seine Glatze wie eine Brandnarbe aussah, beschimpften ihn seine Klassenkameraden in der Volksschule oft als "Glatzkopf!"
【Minami-machi nach dem Atombombenabwurf】
Einige Tage nach dem Abwurf ging ich ahnungslos nach draußen. Ich erinnere mich noch daran, dass unser Stadtviertel randvoll mit Opfern überfüllt war. Ich war zu klein, um zu erfassen, wer noch am Leben war und wer verstarb. Außerdem herrschte da ein schrecklicher Gestank. Mehrmals am Tag kamen einige Soldaten und schleppten Lastkarren. Sie stapelten Leichen aufeinander und brachten sie weg. Dann ließen sie die Leichen am Deich gegenüber dem Krankenhaus verbrennen, das gleich bei uns um die Ecke war. Tag für Tag wurden Leichen verbrannt, ohne dass das Feuer erlosch. An den Tagen, an denen der Wind in unsere Richtung blies, war der Gestank so extrem, dass man ihn selbst bei geschlossenen Fenstern wahrnehmen konnte. Der Gestank verursachte so einen starken Brechreiz, dass es einem den Appetit verdarb.
Da die Verbrennungen rund um die Uhr, selbst in der Nacht, stattfanden, schwelten die Leichen die ganze Zeit in der Asche. Auf diese Weise entzündete sich Phosphor. Da ich damals nicht wusste, was Phosphor ist, fragte ich meine Großmutter danach. Sie erzählte mir dann: "Das ist das Irrlicht, die Seele der Verstorbenen. Alle sind gestorben und kommen in den Himmel, verstehst du?" Wenn ich mich an damals erinnere, habe ich furchtbare Schmerzen in der Brust und mir kommen die Tränen. Ich frage mich, wie viele Menschen starben, ohne dass jemand Bescheid wusste. Wenn ich mir den schrecklichen Anblick in unserem Stadtviertel in Erinnerung rufe, war der Zustand so chaotisch, dass man nicht mehr wissen konnte, wer jeden Tag dort starb und wer noch am Leben blieb.
Ich wurde manchmal von den Opfern angesprochen: "Junge, gib mir Wasser!" Meine Mutter verbot mir jedoch, den Opfern Wasser zu geben. Mir wurde gesagt, dass Menschen mit schweren Verbrennungen sofort sterben, wenn sie Wasser trinken. Aber die Opfer konnten nichts mehr essen und sagten ständig "Wasser bitte!" Ich holte ihnen Wasser von zu Hause. Mir war egal, ob ich dafür geschimpft werde. Ich weiß nicht mehr, wie vielen ich Wasser gab. Ich weiß auch nicht mehr, ob diese Menschen, denen ich Wasser gab, dadurch sofort gestorben sind oder nicht. Aber ich weiß noch, dass sie es dankbar annahmen.
【Die Angst als Atombombenopfer gesehen zu werden】
Ich glaube, während der Volksschule und Unterstufe wurde ich nicht als Atombombenopfer vorverurteilt. Aber ab der Oberstufe sagten meine Klassenkameraden "du bist ja Atombombenopfer" oder "das ist ja ansteckend". Vor der Ehe hat mich die Familie meiner Verlobten sogar gebeten, die Verlobung zu annullieren. Der Heiratsvermittler war kein Atombombenopfer, aber eine sehr nette Person. Er war richtig informiert über die radiokative Strahlung und hat meine zukünftigen Schwiegereltern überzeugt, dass es nicht gefährlich sei. Durch seine Unterstützung kam die Ehe zustande. Wir haben zwei Kinder und auch Enkel, aber tief in meinem Herzen habe ich noch immer die Angst, dass die Strahlung Auswirkungen auf sie hat.
【Wunsch nach Frieden】
Die drei nicht-nuklearen Prinzipien (kein Atomwaffenbesitz, keine Atomwaffenproduktion, keine Atomwaffen auf japanischem Boden) sollten rechtlich verankert sein. Ich wünsche mir, dass die jungen Menschen diese Prinzipien, keine Atomwaffen herzustellen, zu besitzen oder ins Land zu lassen, beachten. Die Tatsache, dass in Japan diese Prinzipien beachtet werden, könnte als ein Friedensappell an die umliegenden Länder und die ganze Welt gelten. Man darf sogar sagen, dass der Weltfrieden in den Händen Japans liegt. Ich wünsche, dass die Nationale Friedensgedächtnishalle für die Atombombenopfer von Hiroshima dazu beiträgt, die Vorführung der Zeugenberichtsvideos in den Pflichtschulunterricht einzuführen.
Ich möchte auch, dass der nächsten Generation den Horror von nuklearen Bomben und Kriegen und auch die furchtbaren Folgen bei kleinsten Fehlern bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie in vollem Umfang beigebracht wird, so dass man keine Vorurteile hat, sondern die Wahrheit kennt. Ich denke, solange ich lebe, habe ich die Pflicht, so vielen Menschen wie möglich die Wahrheit über die Atombombe zu vermitteln.
Übersetzung: MA-Studierende des Instituts für Translationswissenschaft der Universität Wien (SoSe 2015)
Redaktion: Yasuko Yamamoto
Koordination: NET-GTAS(Network of Translators for the Globalization of the Testimonies of Atomic Bomb Survivors)
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