NAGAHARA Makoto, 17 Jahre, war zur Zeit der Bombardierung Schüler an der Hiroshima Oberschule. Das Licht, das er während des Morgenappells erblickte, enthielt unzählige Farben. Vor dem Schultor sah er eine endlose Schlange von Verletzten vorbeiziehen. Beide Eltern wurden verstrahlt; sein Vater starb noch am gleichen Tag, seine Mutter einen Monat später.
Auf dem Rasen südlich des zweistöckigen Schulgebäudes befanden sich 17 Schüler der geisteswissenschaftlichen Abteilung. Wir 17 Schüler standen nebeneinander aufgereiht, während Herr Yomokuro Nakahara, Lehrer für Europäische Geschichte, unsere Namen aufrief. Ich stand kerzengerade da und wartete darauf, dass mein Name an die Reihe kam. Dabei stand ich mit dem Rücken zum Epizentrum, das 2,5 km nordwestlich von uns lag. In der entgegengesetzten Richtung sah ich den Himmel und das Schulgelände, auf dem sich vor mir ein weiteres Gebäude erhob. All dies leuchtete mit einem Mal in undefinierbaren Farben auf. Damit fing es an. Mit undefinierbaren Farben meine ich, dass darin zwar gelb, orange, rot, grün und blau waren, aber es doch keine dieser Farben war. Alles erglühte plötzlich in diesen Farben. Das war die Hitzestrahlung der Atombombe.
Glücklicherweise wirkte das Gebäude gleich hinter mir wie ein Schutzschild, sodass ich keiner direkten Strahlung ausgesetzt war. Ich wich sogar instinktiv noch nach hinten zurück, da alles vor mir plötzlich in diese Farben getaucht war. Als ich drei, vier Schritte zurückgetreten war, hörte ich ein Kreischen, als ob Metall entzwei gesägt werde. Was ich für ein herannahendes Geräusch hielt, war die Schockwelle der Bombe. Halb riss es mir die Beine weg, halb warf ich mich zu Boden, als es mich erreichte. Auf dem Rasen blieb ich dann eine Weile so liegen, etwa in dieser Position, ohne mich zu rühren.
Kurz darauf hörte ich, wie das zweistöckige Schulgebäude hinter uns krachend in sich zusammenstürzte. Das unglaubliche Getöse dauerte eine Weile. Nach dem letzten Klacken eines herabfallenden Dachziegels oder dergleichen kehrte absolute Stille ein. Ich konnte mir nicht erklären, was überhaupt passiert war. Ich konnte nichts weiter erkennen als einen zitternden, zu Asche verbrannten Grashalm etwa 10 cm vor meinen Augen. Danach geschah nichts mehr. Als ich einige Minuten später nochmals aufblickte, hatte sich meine Sichtweite auf etwa 5 Meter erweitert. Die schlaueren meiner Kameraden waren inzwischen zu dem großen Luftschutzraum gegenüber gerannt. Ich beeilte mich, ihnen hinterherzukommen und erreichte ebenfalls den Luftschutzraum. Dort warteten wir etwa 5 bis 10 Minuten, doch nichts passierte.
Als wir wieder herauskamen, war der Himmel strahlend blau. Wir wussten nicht, was geschehen war. Ich blickte mich um und sah im Süden hinter dem Schulgelände die Reihen der Wohnhäuser, die sich in Richtung Minami-machi ausbreiteten. Sie alle waren um etwa 15 Grad zur Seite geneigt. Zuerst dachten wir, dass riesige Bomben in der Nähe eingeschlagen haben mussten, und suchten nach Bombenkratern, aber wir fanden nicht einen einzigen. Da rief einer: "Schaut euch das an!", und deutete zum Himmel empor. Als wir aufblickten, erhob sich in nördlicher Himmelsrichtung ein riesiger Atompilz. Dass wir aus dem Luftschutzraum herausgekommen waren, war etwa 5 oder eher 10 Minuten nach der Bombenexplosion. Wie aufgetürmte Gewitterwolken blähten sich die Wolkenmassen immer höher auf. Darin zuckten rötliche, bläuliche und grünliche Blitze auf, in jener undefinierbaren Farbe von zuvor. Als ob sich diese Farbe in ihre Bestandteile auflöse, blitzte es hier und dort in der Wolke auf, in Pink und anderen Farben. Es war eine so unheimliche Wolke, dass ich sprachlos war und den Blick nicht davon wenden konnte. Wir konnten zwar nichts tun, doch unser Lehrer hatte uns befohlen, uns nicht wegzubewegen, da die Verteidigung der Schule unsere Pflicht sei. Wie geheißen blieben wir also dort auf dem Schulgelände, fast bis zum Mittag.
【Die Reihen der Verletzten】
Schließlich ging ich zum Eingangstor des Schulgeländes. Von der Schule aus weit südlich in Ujina-machi gab es ein Kreiskrankenhaus. In Richtung dieses Krankenhauses zog eine nicht enden wollende Karawane von Aberhunderten, Abertausenden von Verletzten an unserem Schultor vorbei, in Fetzen gehüllt oder gänzlich nackt. Ihre Körper waren von Kopf bis Fuß ascheverschmutzt. Weit von sich gestreckt, so hielten ihre verbrannten, schmerzenden Arme, von denen die Haut in Fetzen herabhing. Ich erinnere mich genau, dass es alles Alte, Frauen und Kinder waren. Und ich erinnere mich auch daran, dass es ganz still war. Schwankend zwar, aber ohne jedes Schreien oder Weinen zogen sie schweigend in langen Schlangen in Richtung Kreiskrankenhaus. Mit Blick auf die endlose Schar war ich erleichtert, dass unsere Kleidung unbeschadet war. Ein Kamerad stand neben mir und wir fragten uns, was in aller Welt mit diesen Leuten passiert sein mochte.
Gegen 12 Uhr hieß es dann, dass alle mit Wohnort direkt in Hiroshima nach Hause gehen dürften, und dass die Stadt offenbar vollkommen zerstört worden sei. Wie geheißen machte ich mich also auf den Weg, zunächst einmal bis zur Miyuki-Brücke, und wollte dort den Fluss überqueren. Das Brückengeländer auf der nördlichen Seite der Brücke war nach Süden zusammengestürzt, während das auf der südlichen Seite in den Fluss gestürzt war. Dort sah ich mehrere Leichen; zumindest waren es leblose Gestalten, die dort lagen.
Am Ende der Brücke jedoch verbot mir ein Militärpolizist, von dort aus weiter in Richtung Stadt zu gehen. Er sagte, dass keiner die Stadt betreten könne, weil dort alles in Brand stehe. Notgedrungen ging ich wieder zurück und sah in Richtung Norden, dass dort tatsächlich ein riesiges Feuer wütete.
Es gab noch eine andere Brücke, eine Straßenbahnbrücke von Matoba-cho zum Bahnhof von Hiroshima, doch auch diese konnte man nicht überqueren, da die Bahnschwellen brannten. Also ging ich zur Enko-Brücke. Das ganze Matoba-Viertel war komplett niedergebrannt. Dort war alles nur noch Asche. Als ich beim Überqueren der Brücke nach unten ins Wasser schaute, sah ich weitere Leichen flussabwärts treiben, einzeln oder auch in Gruppen von drei oder vier Personen. Ich erinnere mich, dass viele der Leiber nackt waren und aufgebläht, beinahe wie Ballons, so trieben sie dahin. Diese Leichen sah ich also von oben von der Brücke.
Schließlich erreichte ich die Bahnhofsgegend, doch dort kam ich nicht weiter und musste einen großen Bogen zum östlichen Exerzierplatz machen. Damals war allen Bürgern eine Katastrophen-Sammelstelle zugeteilt worden, zu der sie sich bei Luftangriffen zu begeben hatten, und für uns Anwohner von Teppo-cho war dies die Volksschule in Midorii. Deshalb wollte ich dorthin und ging am Nigitsu-Schrein vorbei. Dort verlief ein Fluss, und als ich hinunter ans Flussbett trat, sah ich auf der anderen Seite am Ufer unerwartet meine Mutter. Sie war allein zu Hause gewesen, als die Bombe fiel. Sie war gerade aus dem Haus getreten, um vor der Küchentür den Boden sauberzumachen, als das Haus zusammenstürzte. Rein zufällig war gerade über ihr ein dreieckiger Hohlraum, sodass sie keine einzige Schramme davontrug.
Mein Vater hingegen kam gerade vom Wohnheim für Schüler aus Südostasien und war mit einem Schüler aus Malaysia auf dem Weg zu seiner Schule. Vermutlich war er der direkten Strahlung auf der Straße schutzlos ausgesetzt gewesen und hatte, von der Schockwelle davongeschleudert, offenbar schwere Verletzungen davongetragen. Durch die Feuersbrunst, die zu der Zeit auf der Meiji-Brücke begonnen hatte, wurde er vollkommen verbrannt. Seine Gliedmaßen waren bis zu den Gelenken verkohlt, sodass man ihn nicht hätte bergen können. Nur noch eine kohlschwarze Gestalt ohne erkennbare Gesichtszüge. Als nach ein oder zwei Tagen die Feuer verloschen waren, schickte die Schule Leute los, um nach dem Schulpersonal zu suchen. Sie mussten wirklich sorgfältig vorgegangen sein, um in dieser gesichtslosen verkohlten Gestalt meinen Vater zu erkennen. Zum Identifizieren hatten sie jede Leiche einzeln auf den Rücken gedreht. Das einzige, was an meinem Vater noch übrig war, war seine Gürtelschnalle, an der sie ihn erkannten. Wir konnten bestätigen, dass es tatsächlich die Gürtelschnalle meines Vaters war. So erfuhren wir, dass er noch am Tag des Bombenabwurfs gestorben war.
Was das Verbleiben meines Bruders angeht, so betrat ich erst am 8. August wieder unser Zuhause, wo alles niedergebrannt war. Doch auf einem Holzbrett stand, offenbar mit irgendetwas Verkohltem gekritzelt, eine Nachricht meines Bruders Yutaka, dass er wohlauf und auf dem Weg nach Shiwa sei. Deshalb machte sich auch meine Mutter am nächsten Tag dorthin auf den Weg, mit der Asche meines Vaters.
Von dem Verbleiben meines Bruders wussten wir also durch diese Nachricht, aber von meiner jüngeren Schwester wussten wir zu dem Zeitpunkt noch nichts. Als ich hörte, dass die zur Gebäudeevakuierung mobilisierten Schülerinnen auf die Insel Ninoshima versandt worden waren, machte ich mich auf den Weg nach Ujina. Dort hingen auf etwa 200 Metern Listen aus Papier, auf dem die Namen der Patienten, die in Ninoshima aufgenommen worden waren, kunstvoll mit Tusche hingepinselt standen. Darunter entdeckte ich auch den Namen meiner Schwester, NAGAHARA Nobuko. Da gerade eine Armeebarkasse ablegte, ging ich mit an Bord nach Ninoshima, wo ich tatsächlich meine Schwester fand. Die ganze Vorderseite ihres Körpers war verbrannt. Die Ärmste, sie tat mir so leid. Ich blieb etwa eine Stunde bei ihr und hatte dann noch ein Gespräch mit dem Militärarzt. Er sagte, dass die Verbrennungen schwerwiegend seien und meine Mutter mich beim nächsten Mal begleiten solle, falls sie in der Lage zu kommen sei. Ich blieb an dem Tag nur eine Stunde bei meiner Schwester und versprach ihr beim Abschied, unsere Mutter am nächsten Tag mitzubringen, doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Ich erinnere mich noch, dass ihre oberste Hautschicht abgeschält und schwarz verbrannt war, ihre Augen jedoch ganz klar aus ihrem Gesicht blickten.
Am nächsten Tag ging ich nach Shiwa, um meine Mutter zu holen, und gemeinsam kehrten wir nach Ujina zurück. Doch inzwischen waren offenbar unzählige weitere Patienten nach Ninoshima gebracht worden, sodass dort kein Platz mehr war. Deshalb hatte man dort ebenfalls einen Aushang angebracht, dass alle Patienten aus Ninoshima in Kliniken entlang der Bucht von Hiroshima verlegt worden seien und die Überfahrt nach Ninoshima verboten sei. Wir wandten uns an die Zuständigen der Armee, aber sie gaben nur zurück, dass der Aushang korrekt sei und niemand nach Ninoshima fahren dürfe. Wir glaubten ihnen und begaben uns in den umliegenden Städten an der Bucht von Hiroshima auf die Suche, von Tenno in der Nähe von Kure bis nach Otake. Es gab überall unzählige Krankenlager, die behelfsmäßig in Tempeln oder Volksschulen errichtet worden waren.
Wie wir später erfuhren, war meine Schwester doch in Ninoshima. Als ich dort gewesen war, hatte im Bett nebenan noch ein Mädchen gelegen, aus dem siebten Schuljahr einer anderen Mädchenschule, deren Mutter bereits eingetroffen war. Und dieser Mutter hatte ich zum Glück noch vorsichtshalber unsere Adresse in Ushita gegeben. Sie war so freundlich gewesen, jemandem auf dem Weg nach Hiroshima eine Nachricht an uns mitzugeben, geschrieben auf einem aufgefalteten Einwickelpapier für Essstäbchen. Dort stand: "Ihre Tochter ist am 17. verstorben. Sie war tapfer und hat allen Schmerzen widerstanden." Und es stand dort auch, dass sie im Stillen auf das Kommen ihrer Mutter gewartet habe. Es war bitter für uns, dass sie schließlich doch in Ninoshima gewesen war. Nur eine Haarsträhne von ihr war der Nachricht noch beigelegt gewesen. Erst Jahre später legten wir diese Haarsträhne dem Familiengrab bei, anstelle ihrer Asche. Soweit die Geschichte meiner Schwester.
Es bleibt noch hinzuzufügen, was mit meiner Mutter geschah, die vom Tod ihrer Tochter wie niedergeschmettert war. Wir sind dann von Ushita weggezogen. Wir zogen zu entfernten Verwandten, deren Haus im Osten von Hijiyama vom Feuer verschont geblieben war. Allerdings war das Dach schwer beschädigt, sodass es hineinregnete. Dort kamen wir also unter, aber meine Mutter war durch den Verlust von Nobuko sehr deprimiert, vor allem weil sie nicht von ihr hatte Abschied nehmen können. Am 1. September bekam meine Mutter, welche die Bombe ohne einen Kratzer überlebt hatte, plötzlich hohes Fieber. Es war eine aktue Leukämie. Sie verlor das Bewusstsein, und ohne noch ein einziges Wort gesagt zu haben, starb sie am 4. September.
【An zukünftige Generationen】
Diese Welt muss endlich auf Atombomben und andere Nuklearwaffen verzichten. Sicher ist das leichter gesagt als getan, denn die Menschen werden jedes einmal gewonnene Wissen allen Vorsätzen zum Trotz einsetzen, ob zum Guten oder zum Bösen. Daher müssen alle nuklearen Massenvernichtungswaffen durch internationale Abkommen restlos beseitigt werden. Gleichtzeitig muss eine internationale Organisation geschaffen werden, welche alle nuklearen Technologieentwicklungen überwacht. Auch wenn dies zu meinen Lebzeiten nicht so einfach zu realisieren sein mag. Die Generation der heutigen Kinder wird diese Aufgabe übernehmen müssen. Und natürlich muss man auf Krieg verzichten. Schließlich war die Atombombe die Antwort auf einen Krieg, den Japan begonnen hatte. Damit will ich die amerikanischen Atombombenabwürfe nicht legitimieren, aber sie waren die Folge eines Krieges, den Japan angefangen hat. Ebenso wie sich die Existenz von Mensch und Atombombe nicht miteinander vereinbaren lässt, so lässt sich in der nuklearen Gegenwart Mensch und Krieg nicht miteinander vereinbaren. Ich würde mir von der jungen Generation erhoffen, dass sie die Erkenntnis, dass man Konflikte nicht mit Krieg lösen kann, niemals vergisst.
Übersetzung: Monika Sugimoto
Übersetzungslektorat: Hiroshi Yamane
Übersetzungskoordination: NET-GTAS(Network of Translators for the Globalization of the Testimonies of Atomic Bomb Survivors) |