Frau Shigeko SASAMORI, damals 13 Jahre alt, wurde in Hiratsuka-cho, ca. 1,5 km von der Abwurfstelle entfernt, von der Strahlung erfasst. Wegen der Verbrennungen schwoll ihr Gesicht stark an, die Haut wurde spröde und rau wie ein verbranntes Toastbrot. Dank zahlreicher Spender konnte sie in Japan und den USA behandelt werden. Um Kriege zu verhindern, sollten alle Menschen mutig aufeinander zugehen, einander die Hände reichen und einander helfen, sagt sie.
【Das Leben vor dem Atombombenabwurf】
Solange ich mich zurückerinnern kann, waren wir im Krieg. Zuerst gegen China. Dann, als ich in die 2. oder 3. Klasse Grundschule ging, begann der zweite Weltkrieg. Am Anfang hatten wir noch alles, was wir brauchten, aber mit der Zeit wurden verschiedene Dinge wie Lebensmittel oder Kleidung rationiert. Am Ende des Krieges waren die Lebensmittel knapp. Es wurde Wasser heiß gemacht, um darin Rettich, Rettichblätter und ein wenig Reis zu kochen. Wir mussten uns anstellen, um ein wenig davon in eine Schüssel zu bekommen. Doch auch diese Rationierung wurde seltener, und zu Hause gab es nicht viel zu essen. Auch die Kleidung war rationiert und wurde von der Gemeinde verteilt. Das war eine schwere Zeit.
【6. August】
Als die Atombombe fiel, war ich in der ersten Klasse der weiterführenden Mädchenschule. Wir waren gerade das erste Mal zum Arbeitsdienst ausgeschickt worden, um beim Aufräumen niedergerissener Gebäude zu helfen. Es war mein erster Tag, und ich wollte gerade anfangen zu arbeiten, als ich ein Flugzeug kommen hörte. Ich sah zum Himmel auf. Er war an diesem Tag wunderschön blau, die Sonne schien, es war keine einzige Wolke zu sehen. Das Flugzeug glitzerte silbern und hinterließ einen wunderschönen weißen Kondensstreifen. Meine Schulfreundin stand neben mir. Ich sagte zu ihr: "Schau wie schön!" und zeigte mit dem Finger hinauf zum Himmel. Da sah ich, dass etwas Weißes aus dem Flugzeug fiel. Fast gleichzeitig wurde ich von einer unglaublich starken Druckwelle erfasst und niedergedrückt. Ich kann mich noch erinnern, dass ich rückwärts fiel. Als ich wieder zu mir kam, war es um mich herum ganz dunkel. Ich konnte nichts sehen, nichts hören und auch nichts fühlen. Ich wusste nur, dass um mich herum alles dunkel war.
Ich blieb eine Weile ruhig sitzen. Langsam konnte ich ein wenig sehen. Es war ein Gefühl wie im dichten Nebel in der Dämmerung. Als es wieder heller wurde, sah ich, dass die Leute um mich herum so seltsam umhergingen. Ich war schockiert, dass sie alle voll Blut waren und Asche auf dem Kopf hatten. Ich war starr vor Schreck, aber ich hatte noch nicht bemerkt, dass ich selbst auch Verbrennungen hatte. Ich konnte nichts hören und spürte auch keine Schmerzen. Ich hatte keine Ahnung, was da vor sich ging, ich sah nur viele Menschen langsam umhergehen. Also ging ich diesen Menschen einfach nach und gelangte so zum Flussufer in der Nähe der Tsurumi-Brücke. Am Flussufer saßen zahlreiche Menschen. Viele waren in den Fluss gefallen und wurden fortgetrieben. Es waren so viele Menschen und Leichen im Fluss, dass man das Wasser gar nicht mehr sehen konnte. Bei einigen Menschen löste sich die Haut ab, sie waren rot von Blut. Fast alle waren nackt.
Ich sah eine Mutter mit ihrem Baby. Die Haut der Mutter war verbrannt und ganz rot. Die Erinnerung daran macht mir auch heute noch das Herz schwer. Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch nicht bemerkt, dass auch das Baby Verbrennungen hatte und voll Blut war. Die Mutter versuchte verzweifelt, es zu stillen, aber das Baby weinte nur.
【In der Rettungsstation】
Uns wurde gesagt, dass wir an das andere Ufer gehen sollten, und so gingen die Erwachsenen langsam über die Brücke. Ich folgte ihnen. Der Ort auf der anderen Seite hieß Danbara. Wir gelangten zur Grundschule von Danbara. Dort waren viele Soldaten und viele Verletzte. Im Schulhof stand ein großer Baum. "Gut, dass ich hier hergekommen bin," dachte ich. Ich setzte mich unter den Baum. Ich kann mich noch erinnern, dass ich rückwärts umfiel. Wann ich dann in die Aula gebracht wurde, weiß ich nicht mehr.
Als meine Mutter mich fand, lagen wir Verwundeten nebeneinander aufgereiht wie Fische auf dem Markt. Meine Mutter trug eine Kerze und schritt die Reihen ab, wobei sie immer wieder meinen Namen rief. Mit schwacher Stimme antwortete ich: "Hier!" Mein Gesicht war ganz schwarz und auf die Größe eines Fußballs angeschwollen. Man sagte mir, ich sähe aus wie ein Toastbrot, das man so lange im Toaster vergessen hat, dass es schon anfängt zu rauchen. Wenn man es dann herausnimmt, ist es ja auch ganz schwarz und rau. Ich denke, mit diesem Vergleich versteht man es am leichtesten. Bis hinunter zur Brust war ich so schwarz.
Am Heimweg bemerkte ich, dass etwas klapperte. Ich erinnere mich, dass die Leute, die mich trugen, sagten: "Dort drüben steigt immer noch Rauch auf. Dort werden wohl auch noch Leichen unter den Trümmern sein." Ich hörte die Worte, doch ich verstand ihre Bedeutung nicht. Dann verlor ich wieder das Bewusstsein. Ich glaube, ich verlor immer wieder das Bewusstsein und kam immer wieder zu mir. Ich bemerkte auch gar nicht, wann ich in das Zimmer und unter das Moskitonetz kam.
【Pflege durch die Familie】
Meine Haare waren auch verbrannt und kringelten sich. Als ich nach Hause kam, nahm mein Vater sofort eine Schere und schnitt sie alle ab. Ich hatte Glück. Die Haare hatten meinen Kopf geschützt, deshalb hatte ich dort keine Verbrennungen. Auch meine Stirn war zur Hälfte verschont geblieben. Ich hatte einen Pagenkopf getragen, daher hatte ich an den Ohren und seitlich keine Verbrennungen. Dort war meine Haut gesund geblieben. Sonst war von den Verbrennungen alles so schwarz, dass man Augen, Augenbrauen, Nase und Mund nicht voneinander unterscheiden konnte. Als man die schwarzen Hautteile zwischen den verbrannten und den nicht verbrannten Stellen entfernte, kam darunter gelber Eiter hervor, der wie Vanillecreme aussah.
Natürlich hatten wir keine Medikamente. Wir zerrissen Stoff, tränkten die Fetzen in Speiseöl und wischten den herausfließenden Eiter damit immer wieder ab. Meine Mutter war am Krankenbett ständig an meiner Seite. Sie verließ das Moskitonetz nur, um auf das WC zu gehen. Ich glaube, dass sich meine Mutter und mein Vater abwechselnd um mich kümmerten. Zum ersten Mal sah ich mein Gesicht in einer Glasscherbe im Garten. Anfangs konnte ich gar nicht glauben, dass das mein Gesicht sein sollte. Ich wunderte mich, was sich denn da in der Scherbe spiegelte. Als ich erkannte, dass es mein Gesicht war, war ich entsetzt. Ich fühlte mich, wie wenn mir jemand plötzlich Eiswürfel auf den Rücken gegeben hätte. Mein ganzer Körper war starr vor Schreck.
【Die Keloid-Operation】
Ich wurde wieder gesund und konnte nach draußen. Als ich eine Freundin besuchen ging, hörte ich plötzlich schöne Musik. Sie kam aus einer Kirche. Es war die Kirche von Nagarekawa. Von der Musik angezogen ging ich zur Kirche hin. Jemand kam heraus und lud mich ein, einzutreten. Damals war ich noch keine Christin. Ich war immer mit meiner Großmutter zum Tempel gegangen. Dort waren lauter Senioren, ich war das einzige Kind. Ich nahm mir immer mein eigenes Sitzkissen mit. Von der Musik angezogen, betrat ich also die Kirche. Dort traf ich Pfarrer Tanimoto. Von da an ging ich regelmäßig zur Kirche und trat mit 19 Jahren zum christlichen Glauben über.
An meinem Hals habe ich ein Transplantat. Das Keloid wurde gedehnt und an meinen Hals und das Kinn geklebt. Dafür wurde Haut von meinem Bauch und von den Beinen genommen. Auch auf meine Hände wurde ein Transplantat geklebt. Das wurde in Tokyo gemacht, bevor ich nach Amerika ging. Die meisten Menschen glauben, dass ich nur in Amerika operiert wurde, aber ich wurde vorher schon in Tokyo operiert. Das wurde mir durch die Hilfe des Pfarrers der Kirche von Nagarekawa und die Spenden der Menschen in Tokyo möglich.
【Treffen mit Norman Cousins】
Als ich nach meiner Operation aus Tokyo zurückkehrte, sammelte Norman Cousins in Amerika Spenden für die "moralische Adoption" der vielen Waisenkinder in Hiroshima. Die Spendengelder wurden an Pfarrer Tanimoto und das Hiroshima Peace Center geschickt, um Einrichtungen zu bauen. Als Norman Cousins deshalb nach Hiroshima kam, trafen wir ihn. Er sammelte noch weitere Spenden. Anscheinend wurde er von vielen Seiten kritisiert. Es wurde ihm nachgesagt, dass er dadurch nur selbst berühmt werden wollte. Er würde die japanischen Atombombenopfer wie eine Ware verkaufen und nur Geld mit uns verdienen wollen. Wenn er große Firmen um Spenden bat, lehnten viele ab, weil sie an ihm zweifelten.
Aber trotz aller möglichen Schwierigkeiten taten sich Norman Cousins und viele andere Freiwillige zusammen, so dass wir mit dem Spendengeld nach Amerika fahren konnten. Als das Hiroshima-Projekt abgeschlossen war und wir nach den Operationen nach Hause fahren sollten, rief uns Norman Cousins alle einzeln in sein Büro. Er fragte uns, welches Leben wir uns nach unserer Rückkehr vorstellten. Als ich in der Universitätsklinik Tokyo lag, ging es mir immer gut, wenn ich gute und freundliche Krankenschwestern hatte. Ich wollte die Kranken auch so freundlich behandeln und beschloss, selbst Krankenschwester zu werden. Ich erzählte Pfarrer Tanimoto davon. Dieser arrangierte, dass ich im Krankenhaus von Hamamatsu anfangen konnte. Als ich Norman Cousins davon erzählte, fragte er mich, ob ich nicht in Amerika arbeiten wollte.
Vielleicht war ich naiv, vielleicht dumm, vielleicht hatte ich nur noch nicht weit genug gedacht. Jedenfalls war es mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen, dass ich in Amerika eine Ausbildung machen könnte. In der Familie Cousins gab es vier kleine Mädchen, mit welchen ich oft gespielt hatte. Also dachte ich, wenn ich in Amerika bleibe, könnte ich noch öfter mit ihnen spielen. Norman Cousins lud mich zu sich nach Hause ein. Ich antwortete, dass ich das mit meinen Eltern besprechen müsste, und kehrte nach Hause zurück. Zu Hause sprach ich mit meinem Vater darüber. Er sagte zu mir: "Wenn wir gleichzeitig sterben, hätte ich dich natürlich gerne hier. Aber da das normalerweise nicht passiert, kannst du selbst entscheiden, was du machen willst." Ich dachte nur an die schönen Zeiten, als ich in Amerika von allen Menschen so freundlich behandelt worden war, und ging spontan nach Amerika.
Damals bekam man keine längere Aufenthaltsbewilligung, wenn man keine Blutsverwandten in Amerika hatte. Als Tourist musste man bald wieder nach Hause fahren. Man konnte nur bleiben, wenn man eine Arbeit oder sonstige spezielle Gründe hatte. Deshalb adoptierte mich Norman Cousins und lud mich zu sich ein. So erhielt ich eine unbegrenzte Aufenthaltsbewilligung.
【Meine Botschaft】
Was ich den Menschen am meisten ans Herz legen möchte, ist folgendes: Das Leben ist wichtiger als alles andere. Das weiß natürlich jeder. Aber es geht darum, wie dieses Leben gelebt wird. Alleine kann man nicht überleben. Dass ich heute noch lebe, verdanke ich der Liebe meiner Mitmenschen. Freundlichkeit und Liebe sind das Wichtigste. Damit kann es keinen Krieg mehr geben. Die Grundlage für alles ist die Liebe. Kriege entstehen aus Hass. Oder aus Begierde. Aber wenn man mit Liebe an die Menschen denkt, gibt es keinen Krieg und keinen Streit. Das ist meiner Meinung nach das Wichtigste. Im Krieg sterben viele Menschen, die nicht sterben müssten, und viele werden verletzt, die nicht verletzt werden müssten.
Ich habe einen Sohn. Als er gerade geboren war, als er noch nichts von der Welt wusste, legte ihn mir die Krankenschwester auf den Arm und ich schwor ihm: "Du bist nicht in diese Welt gekommen, um in den Krieg zu ziehen und Menschen zu töten oder selbst getötet zu werden. Ich werde dich niemals in den Krieg schicken. Ich werde mich mit aller Kraft darum bemühen." Ich habe ihn für die Welt, für die Menschheit geboren. Deshalb habe ich geschworen, dass ich ihn nicht in den Krieg ziehen lassen werde. Ich glaube, dass alle Eltern so denken. Nichts ist so niedlich und schutzbedürftig wie das eigene Kind. Wenn alle Eltern so dächten, gäbe es keine Kriege mehr. Die Welt wird nicht dadurch friedlich, dass man Vereine gründet und laut gegen den Krieg protestiert.
Ich glaube, der Weltfrieden wird erst kommen, wenn wir alle so denken, wenn sich die Menschen auf der ganzen Welt die Hände reichen. Wir lieben unsere Kinder und müssen uns daher gemeinsam in dem Bewusstsein erheben, dass es keinen Krieg mehr geben darf. Wir dürfen nicht sagen, dass das niemals passieren wird und dass deshalb der Weltfrieden niemals kommt. Er wird kommen, er muss kommen. Deshalb bemühe ich mich sehr, mit jungen Leuten in Kontakt zu kommen. Ich sage den Kindern und Schülern: "Das ist eure Welt. Ich bin zwar schon alt, aber ich kann nicht einfach ruhig sitzen bleiben. Ihr müsst euch auch bemühen." Besonders kleine Kinder sind noch so unschuldig. Ich will nicht sehen, dass sie unter Krieg und Atombomben leiden müssen. Das darf auf keinen Fall passieren. Dafür setze ich mich ein.
Das Leben. Es ist die Liebe, die uns hilft, dieses Leben zu schützen und uns gegenseitig zu helfen. Aber die ganze Liebe nützt nichts, wenn wir einfach sitzenbleiben. Wir müssen aktiv werden. Aber dafür braucht es Mut. Wir können nur etwas tun, wenn wir mutig sind. Diese drei Dinge will ich allen Menschen mitteilen. Nein, nicht mitteilen, ich möchte sie darum bitten.
Übersetzung: Elisabeth Plienegger
Lektorat: Keiko Arai
Koordination: NET-GTAS (Network of Translators for the Globalization of the Testimonies of the Atomic Bomb Survivors)
|