Frau Kiyoko TANAKA, damals 14 Jahre alt. Wurde in Kusatsu-hon-machi, 4,7 km vom Epizentrum, von der Strahlung erfasst. Mit einer Freundin floh sie weinend aus der Stadt. Als sie am Sammelplatz nach ihrer Familie suchte, sah sie in jedem Zimmer nur Berge von Leichen. Das setzte ihr zu. Menschen, die an Verbrennungen litten, baten sie um Wasser, aber sie konnte ihnen keines geben. Das bekümmert sie noch heute. Sie sagt: "Wasser ist das Wichtigste. Es ist die Quelle des Lebens."
【Lunchbox, die ihre Mutter ihr kaufte】
Mein Vater war bei der Armee und nicht zu Hause. Ich kann mich nicht daran erinnern, seit wann er weg war, ich war damals noch klein. Ich lebte mit meinem kleinen Bruder und meiner Mutter zu dritt in einem kleinen Mietshaus. Als mir meine Mutter zum ersten Mal eine Lunchbox kaufte, war ich so glücklich, dass ich es bis heute nicht vergessen kann. Als ich in die Schule kam, meinte sie, die Schule sei zu weit weg, um zum Essen nach Hause zu kommen, deshalb sollte ich eine Lunchbox mitnehmen. Und so kaufte sie mir eine.
Es waren keine besonderen Leckerbissen darin. Es waren viele Getreidekörner und ein bisschen Reis, dazu getrocknete Pflaumen, eingelegtes Gemüse und etwas Gekochtes in der Lunchbox. Manchmal gab es auch etwas Besonderes, z.B. eingesalzener Pollackrogen. Ich weiß nicht, wo sie so etwas kaufte. Wenn jemand kein Mittagessen dabei hatte, setzten wir uns in die Ecke des Schulhofs, brachen die Stäbchen in der Mitte durch und teilten unser Essen. Nach dem Essen gingen wir ins Klassenzimmer zurück. Das wurde in vielen Grüppchen so gemacht. Nicht in allen Grüppchen, aber ungefähr in 5 Grüppchen einer Klasse, wo die Schüler gut befreundet waren.
Wir waren immer hungrig. Wenn wir es sagten, wurden wir zurechtgewiesen: "Denkt an die Soldaten!" Wir mussten immer Geduld haben. Was auch immer das Thema war, es hieß immer, wir sollten uns gedulden, bis wir den Krieg gewonnen hätten. Wenn ich sagte, dass ich mir etwas wünschte, ging meine Mutter nie sofort los, um es zu kaufen. Diese Lunchbox war der einzige Wunsch, den meine Mutter mir erfüllte. Daher habe ich auch mein ganzes Leben lang darauf Acht gegeben. Meine Mutter sagte, die Lunchbox sei schon alt und ich solle sie doch wegwerfen, aber ich kann es nicht.
【am 6. August】
An diesem Morgen kam Sakanoue zu uns. Er war ein Freund meines Bruders, der ihn oft abholte. Ich rief: "Sakanoue ist gekommen!" Daraufhin kamen mein Bruder und meine Mutter gemeinsam heraus. Er sagte: "Ich habe Bauchschmerzen und bleibe heute zu Hause." Daraufhin verabschiedete ich mich von Sakanoue und ging zu meiner Freundin Kikue Sagawa. Ich ging zu Fuß nach Koi-machi und stieg dort in die Straßenbahn nach Miyajima. Damals konnten auch Mädchen nicht mit weißer Kleidung in die Schule gehen. Daher gab es Geschäfte, die die Schuluniformen in der gleichen Farbe färbten wie die Uniformen der Soldaten. Kiku sagte zu mir: "Ich möchte auf dem Weg zur Schule dort vorbeigehen und meine Uniform abholen. Bitte komm mit mir mit!" Ich hatte zwar keine Lust dazu, begleitete sie dann aber dennoch.
Wir waren bei Kusatsu, als ein greller Blitz am Himmel erschien. Es sah aus, als ob die Sonne von einer Kanonenkugel getroffen worden wäre. Ich rief: "Es ist etwas Schlimmes passiert. Kiku, lass uns fliehen!" Alle hatten sich auf den Boden geworfen. Dann standen sie wieder auf und flohen irgendwo hin. An die Geräusche oder an den Wind kann ich mich nicht mehr gut erinnern. Als ich nach einigen Minuten hinauf zum Himmel sah, hatte sich dort ein schwarzer Ring gebildet. Außerdem hatten sich darüber oder darunter, einige Sekunden lang ein paar weiße Ringe gebildet Während ich hinaufsah, breiteten diese sich aus. Ich erschrak und wollte fliehen, aber ich wusste nicht wohin. Ich wusste nicht einmal, wo ich stand. Ich glaube, die anderen waren genauso ratlos wie ich.
Kiku sagte: "Ich gehe zurück nach Hiroshima." Ich antwortete: "Vielleicht hast du in Hiroshima gar nichts mehr, nicht einmal einen Platz zum Schlafen." "Die Häuser in Kusatsu sind alle zerstört. Es ist unmöglich, dass dies in Kannon nicht der Fall ist." Ich sagte: "Heute werde zumindest ich zusammen mit dir fliehen. Also bleib bei mir!" Kiku wollte aber nicht. Ich wusste, wenn wir den Schienen folgen, würden wir zum Haus meiner Tante bei Miyajima-guchi kommen. Daher liefen wir auf einem schmalen Weg die Schienen entlang. Wir weinten die ganze Zeit. Alle Mädchen weinten. Wir liefen und riefen um Hilfe.
【Treffen mit Opfern beim Bahnhof Hatsukaichi】
Obwohl so viele Menschen auf der Flucht waren, war im Bahnhof von Hatsukaichi keine Menschenseele. Ich dachte, dass alle geflohen wären. Wir sahen einen Mann vor dem Bahnhof gleich wo man rauskommt. Seine Augen, seine Hände, seine ganze Figur sah aus wie zu weich gekocht. Zufällig hatte ich ein Reisbällchen bei der Hand, ich weiß nicht mehr, woher ich das hatte. Ich bot dem Mann das Reisbällchen an und legte es ihm in die Hand. Doch dieser sagte: "Bitte gib mir Wasser. Ich brauche kein Reisbällchen." Denn das Reisbällchen passte nicht in seinen Mund, er hätte es nicht essen können. Man konnte gar nicht sehen, wo sein Mund eigentlich war.
Sein ganzer Körper war geschwollen, auch die Augen waren zugeschwollen. Die ganze obere Gesichtshälfte war eine amorphe Masse. Er konnte den Mund kaum öffnen. Und seine Finger klebten zusammen. Seine Kleidung hing in Fetzen an ihm. Ich fragte mich im Nachhinein, ob er wohl gut sitzen konnte. Mit letzter Kraft saß er da. Ich glaube, er ist später sicher umgefallen. Daher ließ ich ihm mein Reisbällchen dort. Wir wollten schnell zu unserem Sammelplatz in Jigozen-mura. Wir liefen und weinten und riefen nach Vater und Mutter.
【Der jüngere Bruder rettet die Mutter】
Kurz nach dem Abwurf der Bombe war mein jüngerer Bruder angeblich auf dem Dach. Mein Bruder schlief mit meiner Mutter gemeinsam unter einem Moskitonetz. Als mein Bruder umherblickte, bemerkte er plötzlich, dass er auf dem Dach war. „Ich fand es seltsam, dass ich meine Mutter nicht sah, und sah mich auf dem Dach um. Da entdeckte ich plötzlich ihr Gesicht. Ein großer Querbalken des Hauses lag auf ihrer Brust. Der Vorraum begann zu brennen, und das Feuer breitete sich zu meiner Mutter hin aus. Ich musste ihr helfen! Ich brachte Wasser, das musste auf den Brandherd gegossen werden. Damals gab es in jedem Haus Löschwasser. Ich ging zum Löschwassertank und holte mit einem Eimer Wasser.“
Mein Bruder war gerade erst in die Schule gekommen, er konnte also nicht viel Wasser auf einmal nehmen. Er machte den Eimer immer nur halb voll. Aber das reichte nicht, das Feuer war stärker. Niemand kam ihm zu Hilfe. Auch viele Soldaten flohen. Auch die Nachbarn liefen alle davon. Auch viele unbekannte Menschen flohen. „Ich flehte sie um Hilfe für meine Mutter an, aber sie ignorierten mich.“ Die Mutter sagte: "Bei der Tante in Miyajima-guchi kannst du deine Schwester treffen. Also geh dort hin. Ich komme hier nicht heraus. Also lauf schnell weg!" Aber mein Bruder sah meiner Mutter ins Gesicht und sagte: "Ich kann nicht weglaufen. Ich will dir helfen." Mein Bruder bemühte sich aus Leibeskräften.
Während ich mit Kiku nach Miyajima-guchi floh, sah ich vor meinen Augen die Gestalt meiner Mutter, wie mein Bruder verzweifelt versucht, ihr zu helfen. Das war mysteriös. Ich sah meinen Bruder, wie er sagte: "Ich muss schnell Wasser bringen und Mutter herausziehen." Als mir mein Bruder später davon erzählte, stimmte seine Geschichte genau mit dem überein, was ich gesehen hatte. Es war zu selben Zeit geschehen, als ich es gesehen hatte. Auch wenn behauptet wird, es gäbe keinen Gott: Damals habe ich erkannt, dass es Gott gibt. Solche Dinge können geschehen. Während ich in Hatsukaichi war, sah ich, was mein Bruder tat, obwohl das eigentlich unmöglich ist.
【Am Sammelplatz Berge von Leichen】
Als wir zum Sammelplatz in Jigozen kamen, erschauderte ich. Es war recht still, aber als ich ins Klassenzimmer trat, lagen dort lauter Leichen. Die Menschen, die noch schwach atmeten, baten mich um Wasser. Niemand dort war so unverletzt wie wir. Es war uns fast peinlich, dass wir nur leicht verletzt waren. Wir gingen den Korridor entlang und sagten: "Es tut uns leid, wir haben kein Wasser. Es tut uns leid." Alle Korridore und alle Klassenzimmer waren voll mit Leichen und sterbenden Menschen.
Wir gingen von Klassenzimmer zu Klassenzimmer und kamen schließlich in unsere Nachbarschaftsgruppe. Plötzlich hörte ich jemanden meinen Namen rufen. Da war mir, als würde ich zu neuem Leben erwachen. Ich wusste nicht genau, wer mich gerufen hatte. Vielleicht war es die Sake-Händlerin? Sie fragte: "Sind in deiner Familie alle gesund?" "Mir geht es gut. Aber mein Bruder und meine Mutter sind bei meiner Tante bei der Firma Chichiyasu. Ich war noch nicht dort um nachzusehen. Ich weiß nicht, ob alle gesund sind," antwortete ich.
Die Sake-Händlerin sagte: "Du hast Glück, dass es dir gut geht!" "Und Kiku hat auch Glück," fügte sie hinzu. Aber Kiku sah einsam aus. Sie hatte noch keines ihrer Geschwister gefunden. Ich munterte sie auf: "Beginnen wir zu suchen! Wir werden deinen Vater oder sonst jemanden finden. Du wirst sehen!" Da sie ein Mädchen war, konnte sie nichts tun außer bitterlich zu weinen.
Es gab einen großen Raum, dort war es ganz still. Ob dort alle schliefen? Wir gingen nachsehen. Wir waren entsetzt: Wir fanden einen Berg Leichen. Wir wussten nicht, was wir sagen sollten. Ich sagte: "Kiku, das sind doch alles Leichen. Gehen wir, ich fürchte mich!" Wir standen da und bekamen Angst. Wir dachten, dass es im Nebenraum vielleicht anders wäre, und gingen nachsehen. Aber dort bot sich uns das gleiche Bild: Ein Berg von Leichen. Ich war wirklich schockiert. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte.
Hinter der Schule gab es eine Art Schrein. Dort stand ein großer Baum. In dessen Schatten stand ganz alleine ein großer Mann. Es war Kikus Vater. Ich rief: "Kiku, ist das nicht dein Vater? Das ist dein Vater!" Kiku war auch sehr erstaunt und lief zu ihm hin. Dieser freute sich auch sehr und sagte: "Kiku! So ein Glück!"
Ich sagte zu Kikus Vater: "Heute werde ich Kiku zu meiner Tante bringen und dort übernachten. Ich werde gut aufpassen. Gehen Sie und suchen Sie nach Ihrer Frau und Ihren Kindern! Morgen in der Früh schicke ich Kiku wieder hierher." Zu Kiku sagte ich: "Du wirst von nun an glücklich mit deinem Vater leben!" Dann trennten wir uns von ihrem Vater.
【Treffen mit der Familie bei der Tante】
Als ich zu meiner Tante kam, waren meine Mutter und mein Bruder da. Im Hals meines Bruders steckten viele Glassplitter, er konnte den Kopf nicht drehen. Er wollte sich die Splitter nicht entfernen lassen, daher steckten sie noch immer im Hals. Meine Tante freute sich und sagte, wir seien die einzige Familie in der Nachbarschaft, wo alle überlebt hatten. Meine Tante war ein Mensch, bei dem man sich sehr wohl fühlte. Ich bat sie: "Tante, heute habe ich eine Freundin mitgebracht. Bitte darf sie heute bei mir übernachten?" Wir legten keine Matratze aus, um zu schlafen, wir saßen einfach nur im Haus.
Spät am Abend kam der älteste Sohn meiner Tante nach Hause. Er hatte Verbrennungen am ganzen Körper. Er sagte, er sei am Bahnhof Hiroshima aus der Straßenbahn gestiegen und habe in den Himmel gesehen. "Es fliegen B29," meinte er. Da sei auf einmal ein Lichtstrahl erschienen, der seinen ganzen Körper verbrannte. Das Fleisch hing ihm in Fetzen herab und er weinte jede Nacht vor Schmerzen. Ich lockte Kiku nach draußen, indem ich sagte: "Gehen wir uns die Stadt Hiroshima ansehen!"
Von oben sahen wir die Stadt Hiroshima. Ich sagte zu ihr: "Wenn du nach Hiroshima zurückkommst, wirst du wahrscheinlich nirgends schlafen können. Die Stadt ist völlig verbrannt." "Die Stadt brennt die ganze Nacht. Hier brennt es nicht." sagte ich, als wir zu meiner Tante zurückgingen. Wenn ich Wasser gehabt hätte, hätte ich ganz viel davon verteilt und den Menschen zu trinken gegeben. Alle baten mich um Wasser. Obwohl sie mich so inständig um Wasser baten, konnte ich ihnen keines geben. Das tut mir heute noch leid.
【Wasser und Frieden sind wichtig!】
Was auch immer wir züchten, Tiere oder Pflanzen, ohne Wasser gibt es kein Leben. Auch Chemiewaffen, mit denen man ein gegnerisches Land angreifen kann, basieren im Grunde nur auf einem Tropfen Wasser. Ich glaube, das Wasser ist zornig, weil es nicht so verwendet wird, wie es eigentlich sein sollte. Wasser sollte man zum Trinken verwenden, das ist doch logisch. Aber heutzutage wird es für Atombomben und chemische Waffen verwendet, mit welchen Zehntausende, ja hunderte Millionen ermordet werden können. Was sollen wir dann mit den Leichen machen? Wo sollen wir das Gift entsorgen? Durch das entsorgte Gift kommt es wieder zu Verschmutzung. Ich glaube, dass jeder Tropfen Wasser wichtig ist. Die Forscher sollten bei einem Tropfen Wasser beginnen. Ich glaube, dass Chemiewaffen etc. nur entwickelt werden können, weil man bei der Forschung Wasser verschwendet. Wir sollten uns über Wasser nicht lustig machen, sondern jeden einzelnen Tropfen wertschätzen. Ist Wasser nicht die wichtigste Ressource für menschliches Leben? Ich denke schon!
Übersetzung: Mag. Elisabeth Plienegger
Lektorat: Keiko Arai
Koordination: NET-GTAS(Network of Translators for the Globalization of the Testimonies of Atomic Bomb Survivors)
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