Als die Bombe fiel, war IKUTA Katsuko 16 Jahre alt. Sie befand sich in Senda-machi, 2 km vom Epizentrum entfernt.
Obwohl die Schwesternschülerin durch das verschüttete Gebäude schwere Verletzungen an Kopf und Gesicht erlitten hatte, half sie sofort bei der Versorgung anderer Verletzter. Die Sorge, dass ihre Kinder und Enkel unter Spätfolgen zu leiden haben könnten, hat sie bis zum heutigen Tage nicht verlassen.
Ankunft in Hiroshima vor der Bombardierung
Es war der Höhepunkt des 2. Weltkriegs, und für die Familien bedeutete es eine Ehre, die eigenen Söhne in den Krieg zu schicken. Auch ich als Mädchen wollte einen Beitrag für meine Heimat leisten. Damals wohnte ich in Shimonoseki, wo wir auch Krankenschwestern des Roten Kreuzes an die Kriegsfront verabschiedeten. Da mir dies als Chance erschien, meinem Land zu dienen, bewarb ich mich als Schwesternschülerin beim Roten Kreuz. Eigentlich wäre die Rot-Kreuz-Station in Yamaguchi die nächstliegende gewesen, doch ich entschied mich für Hiroshima, wo eine Freundin meiner Schwester wohnte.
Arbeitssituation in Hiroshima
Der offizielle Name war: Ausbildungszentrum für Krankenschwestern des Roten Kreuzes in Hiroshima. Im April 1945 begann ich meine Ausbildung. Damals fehlte es an allem und wir hatten nicht einmal Bücher zum Lernen. Allerdings gab es duch die vielen Luftangriffe und den Luftschutzalarm ohnehin keine Ruhe zum Lernen.
Leben in Hiroshima
Oft konnte ich den Silberschein der B29-Maschinen am Himmel erkennen. Immer wenn welche kamen, mussten wir in den Luftschutzbunker. Da war kaum Zeit zum Studieren. Es fehlte auch an Lebensmitteln, sodass wir als Tierfutter gedachten Sojabohnen-Treber in unseren Reis mischten. Manchmal pflückte ich auch Gräser vom Wegesrand und aß diese. Richtiges Essen gab es kaum. Nach dem Abschluss vom Mädchenlyzeum wurden die meisten meiner Klassenkameradinnen zum Arbeitsdienst im Marinearsenal Kure eingeteilt. Noch in der Schulzeit hatte auch ich einige Zeit in der Waffenfabrik Flugzeugteile produziert. Aber nach dem Abschluss, als die anderen nach Kure kamen, ging ich nach Hiroshima.
Hiroshima vor der Bombardierung
Als Schwesternschülerin war ich selten ausgegangen und kannte mich daher in der Stadt Hiroshima kaum aus. Ich wusste nur, dass vor dem Krankenhaus die Straßenbahn fuhr. Als ich nach Hiroshima kam, nahm ich am Bahnhof die Trambahn bis zum Rathaus. Den Weg bis zum Krankenhaus ging ich zu Fuß und mehr kannte ich nicht. Zu mehr war damals keine Gelegenheit.
Die Situation an jenem Morgen
An dem Tag war das Wetter besonders schön. Allerdings ging damals gerade die Ruhr um, und da ich mich zwei, drei Tage zuvor angesteckt hatte, kam ich in Isolation. Viele Patienten lagen mit Ruhr im Krankenhaus, und es gab nicht genug Krankenzimmer. Für die Schwesternschülerinnen diente daher ein Teil des Wohnheims als Isolierstation.
Der Moment der Explosion
Es war gerade Entwarnung gegeben worden. Um jederzeit einsatzbereit zu sein, trugen wir Arbeitshosen und dazu ein Oberteil, doch da es so heiß war, hatte ich mich ohne Hose aufs Bett gelegt. In dem Moment sah von rechts oben einen grellen Blitz, wie von einer altmodischen Kamera mit Magnesiumblitzlicht. Ich fragte mich, ob man nun die Stadt von oben fotografierte. Da kamen plötzlich alle möglichen Dinge von oben herabgefallen und die Wände stürzten ein. Vor lauter Staubwolken konnte ich nichts mehr sehen. Ich konnte nicht einmal mehr nach dem Handtuch greifen, das neben dem Bett hing. Damals waren wir darauf trainiert, uns sofort auf den Bauch zu legen, wenn etwas passierte. So schaffte ich es trotz all meiner Verwirrung irgendwie, mich auf den Bauch zu drehen. Ich überlegte, ob ich vielleicht alles nur träumte, und zwickte mich in die Wange, doch es war kein Traum. Da wusste ich, dass irgendetwas sehr Eigenartiges passiert sein musste. Ich beschloss, abzuwarten. Dass ich eingeklemmt war, hatte ich selbst gar nicht bemerkt. Um mich herum riefen Leute um Hilfe, riefen nach ihrer Mutter, der Oberschwester und so weiter. Irgendetwas Schlimmes ging da vor, dachte ich. Ich würde unbedingt aus eigener Kraft dort herauskommen müssen. Ich lag unter vielen Trümmern und weiß nicht, wie ich es schaffte, mich schließlich zu befreien. Die Isolierstation lag im 1. Stock des Wohnheims, welcher das Erdgeschoss unter sich begraben hatte. Die darunter eingeschlossenen Menschen wurden alle zum Opfer der Flammen. Ich hatte Glück, dass ich es nach draußen auf den Hof schaffte. Ein Pfeiler hatte mich am Rücken getroffen und so schwer verletzt, dass die Knochen freilagen. Im Gesicht und an den Händen hatte ich Schnitte von Glassplittern, doch ich empfand keinen Schmerz. Ich dachte, es sei das Beste, die anderen zu suchen, und entdeckte einige Freundinnen im Hof. Doch weil mein Gesicht blutüberströmt war, erkannten sie mich nicht. Ich fand ein Becken mit Löschwasser, in dem ich mein Gesicht wusch. Da erkannten sie mich schließlich. Gleich neben mir lag die Leiche einer Freundin, über die man eine rote Decke gebreitet hatte. Es war Kobayashi-san, die mit mir aus Shimonoseki gekommen war. Im Speisesaal hatte sie ein Pfeiler getroffen und sie war sofort tot, erfuhr ich von den anderen. Normalerweise würde man auf den Tod einer Freundin mit Trauer oder Bedauern reagieren, aber ich fühlte nichts davon. Ich war wie betäubt. Die ganze Gegend war eine einzige Brandwüste, wohin man auch sah. Ich war zu entsetzt, um an andere denken zu können.
Die Zustände direkt nach der Explosion
Unzählige Verletzte drängten ins Krankenhaus. Ihre Kleider waren völlig zerrissen und ihre Haut hing in Fetzen von den Armen herab. Mir war, als käme ein Heer von Geistern auf mich zu. Ich wusste kaum, wo ich anfangen sollte. Was ich an dem Tag sah, hat sich mir unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt. Am Abend gab es keinen Platz zum Schlafen, denn das Wohnheim war völlig zerstört. Patienten ohne Betten bevölkerten den Eingang des Krankenhauses und den Vorplatz. Schließlich schlief ich draußen vor dem Krankenhaus. Bei Sonnenuntergang schrie ein Baby so laut, dass ich hinging, um nach ihm zu sehen. Seine tote Mutter lag neben ihm. Was später aus dem Kind geworden ist, weiß ich nicht.
Die Behandlung der Betroffenen
Zur Behandlung der Verbrennungen fehlte es an richtiger Medizin. Wir konnten nicht mehr tun, als die Haut mit weißer Zinksalbe zu bestreichen. Die Patienten mit Verbrennungen im Gesicht sahen mit der weißen Salbe auf der Haut wie Geister aus, als trügen sie Masken. In der Sommerhitze waren die Wunden schnell von Maden befallen. Uns blieb nur, sie mit Pinzetten herauszuholen. Wir hatten kein Antibiotikum oder dergleichen, wie man es heute verwendet, auch nichts gegen unsere Ruhr.
Die Symptome der Strahlenkrankheit
Das Rote Kreuz in Yamaguchi war uns zu Hilfe gekommen und so durfte ich für einige Zeit nach Hause fahren. Ich glaube, es war kurz vor Kriegsende. Vielleicht lag es auch an der Mangelernährung, doch als mir beim Kämmen die Haare ausgingen und ich unter Übelkeit litt, befürchtete ich, dass dies die Strahlenkrankheit sei und ich kahl werden würde. Sicher würde ich nicht alt werden, dachte ich. Dass ich gar 76 Jahre werden konnte, erfüllt mich mit Scham gegenüber denen, die sterben mussten.
In die Heimat nach Tsuwano
Ich nahm einen Zug am Morgen, doch die Fahrt wurde immer wieder von Luftangriffen unterbrochen. Als wir endlich in Tsuwano ankamen, war es fast Abend. Es fuhren keine Busse und öffentliche Fernsprecher waren auch noch nicht so verbreitet. So musste ich die Strecke vom Bahnhof aus laufen, etwa 3 oder 4 Kilometer durch die Berge. Meine Mutter konnte es kaum fassen, mich zu sehen. Sie hatte von der Zerstörung Hiroshimas durch die neuartige Bombe gehört und mich für tot gehalten. Sie dachte, ein Geist stehe vor ihr, und so muss ich auch ausgesehen haben.
Heirat und die Furcht vor Erbschäden
Eigentlich wollte ich nicht heiraten, denn man erzählte sich, dass die Kinder Behinderungen haben könnten. Doch mein Mann meinte, ich solle mir deswegen keine Sorgen machen, und so heirateten wir. Nach der Geburt hatte ich den Kindern gegenüber Schuldgefühle. Zwar sind beide nun Mitte Vierzig und immer noch gesund, aber Sorgen hatte ich mir dennoch gemacht. Auch ohne erkennbare Spätfolgen wird über die Nachkommen der Hiroshima-Überlebenden viel geredet. Dieses schwere Erbe habe ich zu verantworten.
Der Verlust vieler Freunde
Zu Beginn der Ausbildung waren wir etwa 200 Schwesternschülerinnen, doch von den Überlebenden kehrten viele krank in ihre Heimat zurück. Den Abschluss machten höchstens 100 Absolventinnen.
Der Zorn der Betroffenen
Ein Einsatz von Atomwaffen ist absolut indiskutabel. Er würde zur Auslöschung der Menschheit führen. Man sagt, dass man die gesamte japanische Bevölkerung mit 5 oder 6 Bomben auslöschen könnte. Abermals eingesetzt, wäre das das Ende der Menschheit. Wir müssen eine Welt ohne Atomwaffen schaffen, um jeden Preis.
Übersetzung: Monika Sugimoto
Übersetzungslektorat: Hiroshi Yamane
Übersetzung Koordination: NET-GTAS(Übersetzernetzwerk zur Globalisierung der Zeitzeugenaussagen von Atombomben-Überlebenden)
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