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(German)Ohne Titel/untitled 
Wiltrud POTTER(Wiltrud POTTER) 
Geschlecht weiblich  Alter zum Zeitpunkt des Atombombenabwurfs 27 
Aufzeichnungsjahr  
Aufenthaltsort zum Zeitpunkt des Atombombenabwurfs Hiroshima 
Hall site Nationale Friedensgedächtnishalle für die Atombombenopfer von Hiroshima 

Bericht von Wiltrud Preibisch, einer 27-jährigen Deutschen, die unter Polizeiaufsicht mit ihrem Onkel von Yamaguchi nach Okayama evakuiert werden sollte, am 15. August 1945.

Wir waren die Letzten. Die letzten Ausländer, die von unserer “Kolonie”, nämlich vier Dozenten und ihren Familien, in einer kleinen Universitätsstadt im Süden Japans, übrig geblieben waren, als der Krieg im Fernen Osten anfing. In der Zeitung waren wir die grossen Verbündeten. In Wirklichkeit waren wir die sehr lästigen und unerwünschten Ausländer, denen in Japan schon in Friedenszeiten nicht zu sehr getraut wird. Die Polizei “besucht” einen fortgesetzt. Über unsere Kolonie und die Meinung eines jeden über jedes Problem wurden jährlich Folianten gefüllt, fein und zierlich mit Tusche und Pinsel geschrieben, und in einem besonderen Raume geordnet, der nur zur Aufbewahrung dieser wichtigen Dokumente diente.

Der Krieg schritt voran. Wie in Deutschland wurden aus den grossen wirklichen Siegen der Anfangszeit die neuen “Siege”; phantastische Schiffsversenkungen. Wenn man sie zusammenrechnete, war schon das vielfache der gesamten Welttonnage versenkt. Trotzdem nahmen allmählich die Luftangriffe, die ja damals hauptsächlich von Flugzeugträgern aus unternommen wurden, zu. Wenige wissen heute in der Welt, wie fürchterlich Japan bombardiert worden ist. Dass von jeder grossen Stadt wohl die Hälfte, oft mehr, gänzlich zerstört worden ist.

Die Not wurde grösser, die Ernährungslage immer schlechter. Als Ausländer in einer kleinen Stadt zu wohnen, ohne jegliche europäische Nahrung, war oft nicht leicht. Die einzelnen Japaner waren zum grossen Teil sehr hilfsbereit und beispiellos rührend, aber die offizielle Tendenz verschlechterte sich mehr und mehr. Und als schliesslich der Krieg in Deutschland zu Ende ging und in Japan die Gefahr der Invasion immer größer wurde, wurde uns schliesslich unsere Stellung gekündigt und wir sollten in ein “Schutzlager” gebracht werden. Es sollte keine Internierung sein, sondern wir sollten geschützt werden, wenn die “Volkswut” ausbräche gegen die Weissen. Eine solche Gefahr bestand in unserer Stadt überhaupt nicht, jeder kannte uns seit über zehn Jahren, und das Klügste und Sicherste wäre gewesen, uns hier in Ruhe weiterleben zu lassen. Aber da wir von der Militärpolizei als Nicht-Japaner durchweg als gemeingefährlich betrachtet wurden, bekamen wir am 6. August 1945 den Befehl, sofort unsere Sachen zu packen, um innerhalb der nächsten Tage in ein kleines Dorf in den Bergen der Okayama Provinz transportiert zu werden.

Die meisten unserer Sachen durften wir mitnehmen. Kisten gab es zwar nicht, aber die Polizei, die alles kann in Japan, liefert sie. Nägel, seit Jahren nicht mehr zu bekommen, wurden kastenweise gebracht. Männer im Zivilleben gab es nicht mehr seit langem, nur Soldaten. Also kamen aus alter Anhänglichkeit unsere Quälgeister, gleich beide, Militär- und Politische Polizei. Mit entblößtem Oberkörper arbeiteten sechs Mann in der fürchterlichen feuchten Augusthitze Japans. Wir sprangen. Wir sollten packen. Sowie wir den Koffer zu hatten, musste er wieder aufgemacht und untersucht werden. Eine Wanderkarte von Griechenland: Was für eine Schrift ist das? Das sind doch keine lateinischen Buchstaben? Russisch? Aha, also doch! Vielleicht hätten wir euch doch schon viel eher festnehmen müssen! - Gottseidank konnte alles noch wieder klargestellt werden.

Am 9. trat eine Stockung ein. Keiner kam. Es war auch zufällig der Tag, an dem eine Zeitung kam. Es gab sie nur noch zweimal in der Woche im Quartformat und einseitig bedruckt. “Eine fürchterliche Bombe, entsetzliche Zerstörung in Hiroshima, viele Zehntausende getötet.” Am Abend ein Polizist: “Was habt ihr gelesen? Vielleicht habt ihr es auch falsch verstanden? Unsinn, inzwischen alles dementiert, eine normale Zerstörung, nicht schlimmer als sie aus jeder Stadt jeden Tag gemeldet wird.” “Wann sollen wir fahren?” “Morgen wissen wir es.”

Am 12. sind wir immer noch da. Die Sachen werden geholt. Wir wohnen auf drei Schubläden. Am 13. kommt eine grosse Menge B29 Flugzeuge, zwei Maschinen kreisen über uns und werfen Flugblätter ab. Unser Garten ist voll davon. Darauf steht: “Habt ihr es jetzt nach Hiroshima begriffen? Hört auf zu kämpfen! Seht eure herrlichen Führer.”  Und zeigt Bilder von  allen führenden Generälen. “Traut ihr diesen?” Der Kaiser war nicht dabei. Hiroshima? Wieso? Was soll das? Und dann: “Morgen um 12 kommen wir euch zu bombardieren. Ihr wisst, dass wenn wir versprechen zu kommen, sind wir auch zur angegebenen Zeit da. Geht nicht zu eurer Arbeit, usw.”

Es ist der 14. August. Wie seltsam, nach dieser übertriebenen Eile uns abzutransportieren, wir sind immer noch da. Die Polizisten lassen sich nicht sehen, und wenn wir fragen, wann wir wegmüssen, können oder wollen sie es nicht sagen.

Am 15. kommt um 8 Uhr eine Frau vom Blockwart; eben ist eine wichtige Meldung durchgegeben worden, dass heute Mittag um 12 alle das Radio anstellen müssen, der Kaiser wolle zu seinem Volke sprechen. So etwas war noch nie da, was ist bloss los? Der Kaiser selbst? Unmöglich, irgendjemand muss wahnsinnig geworden sein. Oder sollte wirklich in diesen Tagen die amerikanische Invasion beginnen, und der Kaiser das Letzte, Höchste verlangen, dass alle, nachdem sie ihr Möglichstes gegen den Feind geleistet haben, sich selbst und ihre Familien umbringen sollen? Nach dem berühmten Beispiel der Insel Saipan, wo, nachdem sämtliche Munition verschossen war, sich die Männer in ihre Schwerter stürzten, und all, die sich nicht mit der Waffe umbrachten, Greise und junge Frauen mit ihren Säuglingen und ihren Kindern vom Kliff in die See sprangen. Noch viele Wochen wurden die Leichen angeschwemmt, aber keiner geriet lebend in die Hände der Feinde, die größte Schmach, die einem Japaner geschehen kann. - Wird dies der Befehl sein?

Um 11 kommt die Polizei: ”Heute um 3 fahrt ihr ab.” Um 3? Um 12 werden die Flieger kommen, um 12 der Kaiser sprechen…Gut, gut um 3.

Um 12 hören wir bei Nachbarn die Meldung. Wahrhaftig, der sonst nie genannte heilige Name wird ausgesprochen, Er wird sprechen! Mit von Trauer erfüllter feierlicher Stimme tönt seine Stimme aus dem Lautsprecher. Aller Köpfe sind gesenkt, als stehe er persönlich vor uns. Er endet. Jemand sagt: “Die Ansprache ist beendet.” Schluss. Viele schluchzen. Wir wagen nicht zu fragen warum. Nach einer Viertelstunde Schweigens beginnen die ersten zu reden: Der Kampf ist aus, die Amerikaner kommen, 2600 Jahre unserer glorreichen Geschichte umsonst. - Und auch: Jetzt beginnt der Kampf, Er wird unser Führer sein - herrliche Siege, kein Flieger wird mehr über unserem heiligen Lande fliegen. - Was ist? Wir haben wohl einzelne Wörter verstanden, aber was hat der Kaiser wirklich gesagt? - Ja, auch die anderen haben nur einzelne Wörter verstanden, wohl mehr als wir, aber da die Hofsprache unglaublich feierlich und gleichzeitig seit Jahrhunderten unverändert ist, ist sie so völlig vom heutigen Japanisch verschieden, dass nur Gelehrte sie ganz verstehen können.

Die Polizisten kommen uns zu mahnen. Ja, vielleicht ist doch alles zu Ende und wir brauchen gar nicht weg? - Unsinn, hier ist der Befehl, eben durchgekommen aus dem JHQ in Tokyo. Also, wir nehmen unsere letzten Sachen und werden von zwei Menschen zum Bahnhof begleitet: Unser treuer Student, der die ganze letzte Zeit trotz schlimmster Warnungen der Polizei, dass er als Verräter betrachtet werden müsse, wenn er weiter bei uns bliebe, zu uns gehalten hat, und unser Leibpolizist, der uns bewachen soll. Jeder trägt zwei Koffer mit unseren nötigen Sachen und genug Essen für 8 Tage, wie die Polizei es angeordnet hat. - Am Bahnhof sind alle, der ganze Ort, Schüler, Kaufleute, alle. Noch immer gehen die verschiedensten Gerüchte, aber was auch kommt, wenn wir bloss bei diesen alten Freunden bleiben könnten! Ein feierlicher, ernster Abschied, mit 1000 Verneigungen. Nirgends kann es auf der Welt wieder so schön sein, wie es hier gewesen ist. Was wird aus uns allen jetzt, denen, die hierbleiben und uns?

Auf den nächsten drei Stationen kommen wieder Freunde an die Bahn. Alle bringen noch etwas zu essen. Reiskuchen mit rotem Bohnenmus gefüllt. Sie sollen Glück bringen. Seit fünf Jahren gibt es diese Köstlichkeiten nicht mehr. Wir fahren. Wir sitzen auf unserem Gepäck. “Fahrt ihr hinauf (Richtung Tokyo) oder hinunter?” “Hinauf!” “Wieso, da kann man doch seit drei Tagen gar nicht fahren!” “Doch, die Polizei schickt uns doch, die würden uns doch nicht weglassen, wenn wir sowieso nicht an unserem Bestimmungsort kommen.” “Dann allerdings.” Wir steigen um in die Tokaido-Linie, die Hauptbahnlinie Japans. Es ist dunkel geworden. Um 9, als wir in der nördlichen Ecke unserer Provinz ankommen, heisst es: “Aussteigen”. Hier ist das Geleise zu Ende. 15 Kilometer Bahnstrecke ist völlig zerstört. Der nächste Zug geht morgen früh um 6 weiter, 15 Kilometer entfernt.

Soweit man erkennen kann, ist um uns alles zerstört. Irgendwo glimmen Häuserreste. Wo sollen wir denn bleiben? Unser Zug setzt sich in entgegengesetzter Richtung in Bewegung. Wir sind traurig, müde und enttäuscht, wie alle. Ringsum hocken die Leute und warten. Kaum einer sagt etwas. Die ersten fangen an, ein paar Decken auszubreiten. Weiter kommen wir doch nicht, Häuser gibt es hier nicht mehr, wir wollen versuchen zu schlafen. Seltsam, niemand redet, kein Fliegeralarm, doch die Häuser brennen. Ist kein Krieg mehr? Wann werden wir das nun endlich erfahren? Wir verteilen an unsere Nachbarn etwas von unserem Kuchen. Noch gibt es einige, die wir kennen, Studenten, und sie wieder sagen es anderen, wer wir sind. Denn schon gibt es müde zerrissenen Gestalten, die mit Hass auf uns blicken. Schlafen können wir nicht, trotz Übermüdung.

Wie sollen wir bloss mit unserem unmöglich schweren Gepäck 15 Kilometer laufen? Vielleicht gibt es ein Auto oder einen Karren. Es hilft nichts, wir marschieren los. Da, über uns ist ein Flugzeug, es fliegt ziemlich niedrig, ein japanisches! Die Trägheit löst sich in ein jubelndes dreifaches “Banzai! Es lebe Japan!” Also geht der Krieg doch weiter! Mit frischem Mute schleppen sie ihre riesigen in Tücher geknoteten Habseligkeiten. Nur Ausgebombte dürfen reisen - aber alle sind gleich begeistert, wenn wir nur weiterkämpfen dürfen.  - Sollen wir nun unser Gepäck hier auf der Strecke lassen? Es ist zu schwer. Rings umher sind riesige Bombentrichter, die leuchtend grünen Reisfelder - das Korn steht schon auf dem Halme - sind breite Strecken lang zerstört. Neben uns ein riesiges Fabrikgelände, es waren ganz moderne Kriegsbetriebe, ist restlos zerstört, die Eisenpfeiler geknickt, die Trümmer rauchen. Daneben die kleinen leichtgebauten Arbeiterhäuschen, alles, alles zerstört.

Wir hören ein Motorengeräusch, es kommt näher. Endlich auf Befehl unseres Polizisten hält ein Lastwagen und ein Wunder geschieht; wir dürfen mit, wirklich, wir dürfen aufsteigen. Lange mussten wir verhandeln. Er fährt ohne Luft in den Reifen und mit einem eben ausgehenden Holzfeuer in seinem offenen Kanonenöfchen, dem Holzvergaser. Erst müssen wir helfen. Das Feuer muss wieder angemacht werden. Mit einem riesigen Fächer muss gewedelt werden bis endlich die Flammen wild herausschlagen aus dem Ofenloch ohne Tür. Unmittelbar vor diesen Flammen hocken wir. Inzwischen sind weitere 60 Mann mit Gepäck aufgestiegen. Einige hängen draussen dran. Erst wird geschoben. Das Auto rührt sich nicht, die Hälfte muss wieder runter, wenn wir überhaupt loswollen. Irgendwie regelt es sich auch alles. Wie immer in Japan, ohne Schimpfen oder Drohen, wenn auch nicht ganz so höflich wie vor dem Kriege. Und wirklich, mitten durch die versengten Felder, durch den Schlamm, kommen wir endlich an, wo eine Bahnlinie wieder anfängt.

Inzwischen sind wir fast verdurstet. Alles drängt sich zu der einen Pumpe, der einzigen, die nach der Zerstörung geblieben ist. “Was, haben wir Wasser für die weissen Teufel? Jagt sie weg!” Nicht einmal mehr ärgern können wir uns oder gar Angst haben, nach allem, was wir zusammen erlebt haben. Aber natürlich, die Zeitungen schreiben doch jedenTag über die Weissen. Sie bringen nur Verderben, und selbst die Deutschen haben ja Japan in seiner höchsten Not “feige im Stich gelassen”, nämlich als Deutschland kapitulierte. Nein, auch wenn es unglaublich traurig ist, wundern dürfen wir uns nicht.

Ein Zug kommt, alle springen drauf, noch während er fährt. Jetzt endlich geht es weiter. Noch 4 oder 5 Stunden und wir sind da! “Bis Okayama? Da werdet ihr wohl noch etwas Geduld haben müssen.” Erst einmal kommen wir nach Hiroshima!

Dort, wo sonst längst die Vorstadt von Hiroshima, der Halbmillionenstadt, anfängt, sieht man Trümmer. Das Wahrzeichen der Stadt, das alte riesige Schloss am Abhange der Bergkette ist verschwunden. Wir fahren, nun sind schon 20 Minuten vergangen seit Hiroshima angefangen hat. Wir haben noch kein Haus gesehen. Rechts, links, unten zum Meere hin, bis rauf auf die Berge, nichts ist mehr da. Auch nicht unmäßig viele Trümmer. Hiroshima ist weg. Auf dem Berge ein riesiges zerbrochenes Tempeltor, eine völlig verdorrte alte Kiefer daneben. Die sonst mit leuchtendem warmen Grün bewachsenen Abhänge sind, soweit man blickt, schmutzig braun und verdorrt. Kein grüner Halm ist geblieben. Die Felder, Reis, Süßkartoffeln, noch vor einer Woche in der feuchten Hitze wuchernd, sind tot. Bei sehr wenigen sogenannten europäischen Bürohäusern steht noch die eine oder andere Wand, die Fußböden hängen vom 2. und 3. Stock herab. Dass hier früher Strassen waren, sieht man, der Asphalt hat gehalten. Ja, die Brücken sind alle unversehrt, aber Drähte hängen wild herunter. Und da sind Menschen, sie kriechen umher.

Unser Zug hält. Hier war einmal der Hauptbahnhof. Man glaubt es nur, wissen kann man es nicht. Doch ja, an der Unterführung kann man ihn erkennen. “Alles aussteigen!” Wieder? Es ist 7 Uhr morgens und eine Bullenhitze. Was ist das nur, ein entsetzlicher Übelkeit-erregender Gestank. Vielleicht können wir weiter nach vorn, da ist es vielleicht besser. Überall ist ein Gewimmel, dass man sich kaum bewegen kann. Wir stellen das Gepäck nieder. Gibt es wohl irgendetwas zu trinken? Wir fragen. Nein.

Immer mehr Leute kommen. Was sind denn das für Menschen? Sind das noch Menschen? Was ist denn hier geschehen, sie sehen nicht aus wie die Tausende von Ausgebombten, die wir vorher schon getroffen haben. Sie sind fremd und starr, sie scheinen weit weg von uns zu sein. Ihre Augen sind erfüllt von solch einem unsäglichen Grauen. Sie scheinen fast leblos. Traurig sind sie nicht, dazu sind sie zu eingefroren in das Entsetzen. Viele sind in fürchterliche Fetzen gehüllt. Verbunden mit schmutzigen Lappen. Andere sitzen fast nackt da mit riesigen, offenen Brandwunden. Ein kleiner 5-Jähriger Junge neben uns hat ein Tuch das er aufknüpft; eine Glaskugel, eine Seite aus einem Bilderbuch und eine unreife rohe Süßkartoffel hat er drin. Er beisst in die Kartoffel, legt sie in das Tuch, greift starren Auges nach der Kugel und dem Bild, und knotet das Bündel. Viele Stunden wiederholt er dies. Leute, die ihn kennen, sagen dass er der einzige ist, der aus der Strasse entkommen ist. Wir wollen ihm etwas zu essen geben, aber  er sieht es gar nicht.

Ja, wir haben auch lange nicht gegessen. Unser Polizist ist hungrig. Wir packen das Brot aus. Hier hat es seit einer Woche nur die wenigen übrig gebliebenen Süßkartoffeln gegeben und nichts anderes. Ihre Blicke treffen uns, gar nicht neidisch, aber wir bieten alles an, keiner nimmt, wir stecken es wieder weg. Der Gestank, süß, widerwärtig. Einer fragt. Es sind die Toten, es sind so viele, man kann sie nicht verbrennen, wie es die Sitte fordert. Auch sie zu begraben, gibt es nicht genug Kräfte. Noch liegen viele umher und verwesen. Bei dieser tropischen Hitze geht das schnell.

Wenn wir doch bald einen Zug kriegten! Auch von hier fort dürfen wir nicht, wir werden ja bewacht. Allmählich wird es Mittag. Da! Plötzlich ein Lautsprecher! Hier in der Wüste, wir sind doch noch nicht vom allem abgeschnitten! Die Meldung von gestern wird wiederholt. Wieder spricht der Kaiser, und wieder versteht man nicht. Trotzdem, allein seine Stimme zu hören! Nur für einen Augenblick scheint ein Funke aufzuglimmen in diesen trostlosen Augen. Dann kommen die Erläuterungen. Es wird klar: Der Krieg ist beendet. Aber auch dies kann die Menschen, die Hiroshima erlebten, nicht mehr aus ihrer Leblosigkeit aufrütteln. Der einzige Gedanke, den es für sie überhaupt gibt, ist: Fort aus der Hölle hier. Die anderen, die mit uns kamen, weinen oder starren vor sich hin. Bis vor wenigen Stunden hatten sie noch zum Widerstand gerufen. Nun aber, seit Hiroshima, wissen sie, so ist es richtig. Der Krieg, so bitter sein Ende ist, muss jetzt aus sein.

Wir brüten halb leblos vor uns hin. Wir können gar nicht mehr denken oder reden. Alles ist so widerlich, so trostlos hier. Weiter als Hiroshima gehen unsere Gedanken nicht. Freuen kann man sich nicht. Wir müssten doch jetzt froh sein! Vielleicht später! Aber auch sich ein Später vorzustellen, ist unmöglich. Immer mehr Menschen kommen. Weg von hier, dies ist ja nicht eine zerbombte Stadt, es ist das Inferno. Einer flüstert: “Sieh das Kind, diesen Mann! Noch sehen sie aus wie du und ich, scheinbar gesund, sie werden alle sterben, die von den Strahlen der Explosion berührt wurden. Allmählich, nach Wochen, Monaten. Und viele wissen es schon jetzt. Sie sind verloren.”

Wir wollen hier weg! Immer wieder gibt es Gerüchte, in einer Stunde kommt ein Zug! Nichts. Aber endlich, wirklich! Wir haben 6 Stunden gewartet, da kommt einer. Alles springt hinauf, wahllos, nur weg von hier. Auf dem Dach, zwischen den Rädern, überall hängen Leute. Der Zug geht in den nahegelegenen Kriegshafen, der auch zerstört ist. Für uns bewachte Europäer eine schon seit Vorkriegszeiten verbotenen Strecke. Wir müssen raus, wir werden gezwungen. Wir springen aus dem fahrenden Zuge; zurück zur Menschenmenge, Hiroshima. Der Durst, der Gestank, der Ekel vor aller Menschheit, eine andauernde Übelkeit. Jetzt ist die Hitze am Größten, wir hocken neben einem umgefallenen Pfeiler, fast im Trance-Zustand.

Um 4 kommt wieder ein Zug, es ist unmöglich, wir kommen gar nicht in seine Nähe. Ob man je wieder Luft, richtig reine Luft atmen werden kann? Es ist 7 Uhr abends,die Hitze bleibt. Der Zug! Unser Zug, und wir hocken wieder zwischen zwei Wagen, der Zug fährt, er fährt! Viele bleiben zurück. Wir fahren. Da, da war früher ein grosses Warenhaus, all die vielen Glasscheiben des Dachs, das grosse Gebäude, fast nichts ist mehr da, es ist zu Pulver zerfallen. Scherben gibt es fast nicht im Zentrum der Stadt. Sehr langsam fahren wir durch die braune Einöde. Hiroshima! Viele Jahre fuhren wir 80 Kilometer weit zum Einkaufen hierher, eine lebhafte, bunte Stadt voll herrlicher Geschäfte und berühmter Restaurants und Theater. Tot. Nur weg von hier.

Eine Stunde, zwei, drei Stunden fahren wir schon. Aber Hiroshima ist da. Es geht nicht wieder weg. Die Menschen, der Geruch! Er verlässt uns nicht wieder. Er haftet. Beim Atmen, in der Kleidung. Wie kommen wir je wieder davon los?

Kurz vor Okayama halten wir. Unser Zielbahnhof. Es ist 10 Uhr.

Meine Mutter hat mir erzählt, dass sie in Okayama je eine Tasse Tee verabreicht bekamen und dann wieder - über Hiroshima - nach Yamaguchi zurückgeschickt wurden. Der Krieg war beendet und der Evakuierungsbefehl nicht mehr gültig.

Ihr Onkel nahm sich einen Monat später das Leben.
 
 
 

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